La Scultura

Der Bildhauer Giancarlo Lepore

In den Marken, in der Provinz Pesaro – Urbino und in den Hügeln hoch über Borgo Pace, eine dreiviertel Stunde von Urbino entfernt, liegt das Atelier von Giancarlo Lepore. Der Weg ist nicht leicht zu finden, die Strasse schlängelt sich über die Anhöhen, in einer Biegung eine Schranke, an dieser links vorbei und dann den Pfad weiter, ein Stück durch einen Wald und mit einem Mal breitet sich auf einer grünen Ebene von Bäumen umrankt das Grundstück aus: mit mehreren Gebäuden, die aneinander schließen und das Bildhaueratelier und den Raum für das Zeichnen beinhalten. Davor, auf dem Gelände und am Abhang etliche teils überdimensionale Skulpturen. Die meisten die eigenen, aber auch eine „Torsituation“ aus Stahl von Henner Kuckuck, einem Berliner Bildhauer, den Giancarlo Lepore aus seinen Zeiten in Berlin kennt, mit dem er zusammen bei Symposien gearbeitet hat. Auch an den von Lepore veranstalteten Bildhauer-Workshops hat Kuckuck teilgenommen: Veranstaltungen, die unter dem Namen Casalaboratorio seit 1994 hier stattfinden.

Das heißt: das Anwesen bei Borgo Pace ist zum einen Rückzugsort, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren, mit der Möglichkeit für Lepore, die Werke in der Landschaft permanent zu belassen, dadurch wieder und wieder zu überprüfen. Zum anderen ein Platz der Kommunikation, des gegenseitigen Austauschs, was für Lepore grundsätzlich Teil jeder Arbeit ist, bereits an der Akademie in Urbino, wo er nach Assistenzen und Lehraufträgen in Carrara, Darmstadt und Venedig seit einigen Jahren eine Bildhauerklasse leitet.

Im Grunde bewegen sich schon seine Werke zwischen diesen Polen der Selbstbesinnung und des Kommunizierens. Thema, Motiv der Arbeit von Giancarlo Lepore, der 1955 in Avellino geboren wurde und seit Mitte der neunziger Jahre bei Borgo Pace wohnt, ist von Anfang an der Mensch. Lepores Arbeit erweist sich als ein sukzessives Annähern, Eingehen auf die menschliche Physis, auch auf seine Psyche; im Laufe der Zeit wird dies mehr und mehr in entschiedener Verknappung und Ausschließlichkeit vorgetragen, immer bleibt in diesen Arbeiten der Mensch auf sich zurückgeworfen. Verschiedentlich hat Lepore Handlungsstrukturen einfließen lassen, vor allem in den Werken der achtziger und frühen neunziger Jahre, die häufig auf die klassische Mythologie rekurrieren. Und in den letzten Jahren entwickelt Lepore zweiteilige Darstellungen – Skulpturen, Zeichnungen, Druckgraphiken -, die a priori Dialogisches implizieren und bereits darin gewissermaßen den Kontakt zur Außenwelt suchen. - Aber wird der Betrachter nicht überhaupt zum Teilhaber von Lepores Arbeit, erst recht der überdimensionalen Plastiken, die hier, nahe bei Borgo Pace, in vielleicht idealer Situation in Erscheinung treten, realisiert in Ton, Stein, Holz, Bronze, Stahl und aus Eisenblechen als stumm beredte Gegenüber?

Die Lederskulpturen

Die Ökonomie der Mittel, der sparsame, aber nuancenreiche Einsatz von Gesten und die Bewegtheit der Oberfläche kennzeichnet im Grunde schon die frühen Arbeiten, die bis Mitte der achtziger Jahre mit Leder entstehen. In der zeitgenössischen Kunst in Deutschland ist dies ein eher selten verwendeter Werkstoff, um den sich vor allem Horst Egon Kalinowski verdient gemacht hat, der lange Professor an der Karlsruher Kunstakademie gewesen ist und dessen Plastiken auch in Rastatt zu sehen waren. H.E. Kalinowski bleibt freilich ein Einzelfall in Deutschland. In Italien ist die Verwendung von Leder gebräuchlicher; sie steht in unmittelbarem Bezug zu handwerklichen Traditionen, sie insistiert auf Materialgerechtigkeit und verlangt eine langjährige Erfahrung und große Könnerschaft.

Für Giancarlo Lepore bedeutet der Umgang mit dem Leder eine vorsichtige, aber auch explizite Annäherung an die Leiblichkeit des Menschen. Das ist im Sinne von Fragilität und Sinnlichkeit zu verstehen. Lepore setzt das Leder – im Gegensatz etwa zu Kalinowski, der mit Volumina arbeitet und die gegerbte Haut spannt – als freigelegte Schicht ein, als dünnwandige, in sich vibrierende und farblich höchst nuancierte Fläche, bei der Vorder- und Rückseite gleich wichtig und präsent sind. Die Konturen nehmen – im wahrsten Sinne des Wortes – „Gestalt“ an, schaffen Form und beschreiben in diesen frühen Arbeiten Aktivität. Hingegen bleibt die Textur der Fläche „informell“; heftig bewegt und ausdrucksstark, teilt sie Vergänglichkeit und Erfahrung mit. Giancarlo Lepore ist Sympathisant seiner Skulpturen, diese berichten vom Leben. Er hat die Oberfläche minutiös bearbeitet und behandelt, wobei er eine differenzierte Tönung der Lokalfarbigkeit erreicht. Der Arbeitsprozess ist aufwändig und zeitintensiv, zielt im übrigen auf Haltbarkeit und Stabilität. Die Arbeiten sind gefestigt, steif und ausdauernd, unter den Fingern wirken sie fast wie ein robuster Panzer. Das Thema Zeit ist ihnen eingeschrieben, zumal sie von antiken Stoffen – im besonderen von Ovids „Metamorphosen“ - handeln und das Verhältnis von Geschichte und Natur ausloten.

Es ist nicht nur eine formale Notwendigkeit, dass Lepore diese Arbeiten in Gestellen aus Stahl fixiert, sie damit sichert und hervorhebt. Das Geschehen wird als Ereignis betont, das sich wie auf einer Theaterbühne abspielt. In den Titeln nimmt Lepore Bezug auf die literarischen Vorlagen, die Darstellungen selbst bleiben realistisch. Zu sehen sind Körper, als Torsi in der Bewegung, als Manifestation von Existenz und darin durchaus auch in den Materialien Stein und Bronze denkbar. Auch dies sind (neben dem Interesse am Leder als Werkstoff) durchaus Spezifika der italienischen Kunst: die narrative Dimension, wie sie etwa im Bezug auf die Mythologie gegeben ist, und das Beharren auf dem Gegenständlichen. Jeder Betrachter soll augenblicklich angesprochen werden, Direktheit, unmittelbare Erkennbarkeit ist ein wesentliches Moment der Arbeit von Lepore, zumal der Lederskulpturen, die mit ihrer Sinnlichkeit anlocken.

Nachdem Giancarlo Lepore 1987 bis 1991 Assistent von Floriano Bodini am Lehrstuhl für Plastisches Gestalten an der Technischen Universität Darmstadt war, fand 1992 im Studio der dortigen Kunsthalle eine Ausstellung der Leder-Arbeiten statt. Giancarlo Lepore schrieb zu diesem Anlass: „Meine Skulpturen erzählen von Natur, Mythos und Mensch; ich hoffe, dass in der Ausstellung Erlebniswege entstehen, die die Assoziationen des einzelnen Betrachters erwecken.“ (Kat. Darmstadt 1992)

Die frühen figürlichen Zeichnungen und Skulpturen

Begleitend wurden in der Darmstädter Ausstellung und im Katalog größerformatige Zeichnungen gezeigt, welche das Figürliche und das Interesse an der Konstitution des Menschen weiter betonen. So wie Lepore die Lederskulpturen selbst räumlich ausgreifen lässt, so vermitteln die Zeichnungen plastisches Empfinden. Körper wird als pulsierendes, in den Raum vordringendes Geschehen gezeigt, wobei die Figur im Vordergrund das Bildformat dominiert. Die Zeichnungen sind autonome Blätter und sie sind zugleich Studien. Der Papiergrund bleibt stehen, eine breite Kontur verstärkt die Vorstellung von körperlichem Volumen, Momente der Monumentalität und Labilität sind evoziert, schon hier schafft Lepore ein leibliches Gegenüber. Dabei gibt es auch stärker reduzierte Papierarbeiten, die nurmehr die Figur als Torso andeuten, ebenfalls in Verwandtschaft mit dem plastisch skulpturalen Schaffen. In jedem Fall aber ist Giancarlo Lepore (zumal mit den Arbeiten bis Mitte der neunziger Jahre) ein Künstler, dessen Ideal im Realismus wurzelt, der aber keineswegs naturalistisch arbeitet. In gewisser Weise folgt Lepore den Modi seiner bildhauerischen Materialien und Techniken, entsprechend wechseln die Arbeiten zwischen weichen und kantigen Verläufen, welche ein „Heraushauen“ oder „Gewinnen“ aus der Materie beschreiben. Die Materialgerechtigkeit impliziert den Verzicht auf koloristische Setzung (abgesehen von der Patinierung bei den Bronzen), analog beschränken sich die zeichnerischen Blätter weitgehend auf das Tuschschwarz und die Papiertönung. Lepores Arbeiten sind Konzentrationen und sie legen, zumal zu diesem frühen künstlerischen Zeitpunkt, die Interessen an der körperlichen Präsenz frei. Ausgehend vom Torso gibt Lepore diesen schon in seinen Zeichnungen zwischen Fliehen und Innehalten. Er zeigt das Spiel der Muskeln gleichsam als Aufbäumen: Natürlich muss sich eine derartige Klärung noch am Modell orientieren.

Im plastischen Bereich tritt das Leder im Laufe der achtziger Jahre allmählich in den Hintergrund ohne aufgegeben zu werden. Lepore arbeitet nun überwiegend mit Stein – im besonderen Marmor – und in Bronze. Seine Skulpturen behaupten mehr und mehr die Vertikale, ragen als schlanke Setzung in die Höhe und erreichen eine Klassizität und konzentrierte Verhaltenheit. Das ist jetzt nicht unbedingt neuartig in der Geschichte der Kunst, aber Lepores Arbeiten drücken doch eine stolze Selbstbehauptung und ein zeitloses Überdauern aus. Die Werkstoffe Marmor und Bronze machen Sinn: Sie stehen für Schönheit und Ewigkeit, sie formulieren Bilder des Gedächtnisses und des Überlebens. Die Verwandtschaft mit den Arbeiten eines Künstlers wie Alberto Giacometti ist schon deshalb weniger als peripher. Giacometti formuliert im minutiösen Pulsieren der Oberflächen existenzielle Bedrängnis und ein Tasten in den Raum. Lepores Arbeiten aber stehen mit einem Mal sicher in diesem, auf sich selbst bezogen, Thema ist stilles Dasein.

Rückblickend erweist sich der Umgang mit dem Leder als Vergewisserung des Dramatischen, die in eine explizite Gelassenheit mündet. Das Handwerk bleibt wichtiges Fundament der Arbeit von Giancarlo Lepore. Schon diese früheren Skulpturen hat Lepore bevorzugt in der Natur ausgestellt, dort auch die Werkfotografien angefertigt. Dies hängt zum einen mit den Einladungen an Bildhauersymposien zusammen, bei denen mehrere Künstler an einem, oft in der Landschaft gelegenen Ort über längere Zeit parallel arbeiten, wo sie mehr oder weniger, je nach Temperament und Intensität des Workshops, aufeinander reagieren. Das Interesse an der landschaftlichen Natur liegt zum anderen aber in Lepores Arbeiten selbst begründet. Diese zeigen Seinzustände, jenseits großstädtischen Treibens. - Ja, man könnte so weit gehen, die ganze Situation (die Skulpturen, die zurückgezogene Arbeit in der Landschaft) als weltabgewandt zu bezeichnen. Und – so eine These – wäre es nicht vorrangige Aufgabe des Künstlers, am Puls der Zeit zu sein, eindringlich Entwicklungen und Befindlichkeiten der Gesellschaft zu beobachten und mit adäquaten Mitteln zu konstatieren, schließlich zu kommentieren? Bedeutet Kunst nicht das Einlassen auf Heutiges: ein Sensorium für zeitgenössische Phänomene zu formulieren, zumal das Handwerkliche per se obsolet und vielleicht verdächtig (redundant und unzeitgemäß, nicht zum Wesentlichen kommend) geworden ist? Um Gespür, Authentizität gehe es, um Verantwortung in der Polis.

Giancarlo Lepore gehört zu den Künstlern, die sich beharrlich der Tradition besinnen, die Fragen erforschen, welche zeitlos im Raum stehen. Weiterhin wird Kunst zum Refugium, zu einem Gegenentwurf, welcher der Sammlung und Konzentration dient. Um der Hektik zu entkommen und zum wesentlichen vorzudringen. Den Standpunkt in der Welt neu zu bestimmen … Das Menschenbild von Lepore ist gerade nicht ungebrochen, der Mensch ist im Ausschnitt gegeben, als Fragment und Torso; er findet sich in der Vereinzelung wieder und ist in die Welt gesetzt – und die Skulpturen nehmen, in ihrer Konstitution und ihren Dimensionen, den Kontakt mit ihrer Umgebung auf: Wie gesagt, sie werden zum Gegenüber, gewissermaßen selbst die Initiative ergreifend.

Verknappung und neue Materialien

Ich denke, Giancarlo Lepore hat in diesen Jahren die Gefahr sehr wohl erkannt, die den Verlauf seines Werkes bestimmen könnte. Wohlgemerkt, der Diskurs ist Teil seiner Arbeit, das Gespräch, das Lehren und die Teilnahme an Workshops, die zudem mit gänzlich anderen Positionen vertraut machen und das Gespür für (mitunter erst lange später eingelöste) Innovationen stärken. Auf der Grundlage seiner prinzipiellen Prämissen hat Lepore weitere Materialien in seinem Werk zugelassen, damit zugleich den Formenkanon modifiziert. Das Körperfragment tritt mehr in den Vordergrund, anthropomorphe Ganzheitlichkeit bleibt indes ablesbar, die Körperlichkeit als plastische Präsenz abstrahiert die Struktur des Leiblichen.

Um von einer Gruppe der Arbeiten zu sprechen, die ab Ende der neunziger Jahre entstanden sind: Zwischen riesenhaft und gekrümmt muten nun einzelne dieser Formulierungen an, welche Lepore vor allem mit leicht gewölbten Eisenblechen realisiert. In gewissem Sinne greift er hierbei den Umgang mit dem Leder wieder auf. Zwei konvexe Flächen aus Eisenblechen, an den Rändern zusammengeschweißt, umschließen einen Hohlraum, wobei Lepore jede dieser Flächen für sich bearbeitet hat. Auch hier im intensiven Hämmern, woraus eine lebhafte Oberfläche erwächst, der noch Leibhaftigkeit eigen ist. Derartige Werke stehen auf einem Fundament oder aber sie hängen an Stahlseilen, schweben sozusagen. Betont wird die Vertikale, mehr als die früheren Werke beanspruchen solche Arbeiten den Außenraum, dringen in ihn gleichsam vor, verfügen dabei über ein gewisses Pathos. Jede Ruhe ist aus diesen Plastiken gewichen, die monumental wirken und vielleicht bedrohlich anmuten. Assoziationen an ein Stück Fleisch klingen mit einem Mal an, wie ein vorübergehendes Gefühl. Dem Purismus und der Gefasstheit des Torso im überlieferten Kanon setzt Lepore also die vitale Geste entgegen. Bewegung und Raumbehauptung werden zu einem Teil dieser Werke, die vom Leben in seiner Zerbrechlichkeit und vom Ausgeliefert-Sein berichten könnten. Demut und Stolz klingen als Begriffe ebenso an wie Verletzung und die Fähigkeit, selbst zu verletzen. Stärker noch als die Lederskulpturen wirken diese Metallarbeiten als pulsierendes Geschehen aus sich hieraus, vielleicht in einem noch vorsprachlichen Zustand, in dem sie sich erst entwickeln müssen, Form gewinnen, also vor jeder Geschichtlichkeit und Handlung. Insgesamt – und nicht nur hier - tritt jedes Erzählerische in den Hintergrund, seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre sind Lepores Arbeiten mehr denn je in der Gegenwart.

Eine Arbeit wie der „Kouros“, der 1995 entstanden ist, folgt demgegenüber noch einem konventionell klassischen Aufbau, der vertrauten Ordnung der Proportionen. Die Vertikale ist besonders schlank und hoch aufragend gegeben. Der Körper verbleibt als Torso ohne Kopf und Arme, die Beine sind in geschlossener Längung als Einheit gegeben. Zu identifizieren sind das Knie, die Hüfte, der Brustkorb. Die Arbeit besteht aus Stahl, den Lepore geschmiedet hat, so dass ein detailliertes Geschehen aus Buchten, Hebungen und Senkungen vorliegt. Die Bewegungen innerhalb des Körpers sind fließend, eingeschrieben ist eine leichte Torsion, welche den Kontrapost nur noch ahnen lässt. Die körperliche Orientierung aber wird im Doppel-T-Träger gespiegelt, auf dem die Gestalt befestigt ist, der diese weiter über die Köpfe der Betrachter erhebt. Ausdauer und Beharrlichkeit scheinen als Attribute der Figur beigegeben, die sich – auch hier noch – an der klassischen Antike orientiert, besser: hier ihre Ausgangsidee erhält. Der Kouros ist die nackte Jünglingsstatue der griechischen archaischen Kunst; der sog. „Jüngling von Tenea“ gilt hierfür als Paradebeispiel. Markus Lüpertz ist dieses Thema mit ausgreifender Geste und provokativer Behauptung angegangen, sein Kouros tritt in forscher Schreitbewegung auf, den einen Arm angewinkelt und im Auftreten zwischen David und Kriegerstatue. Hingegen konzentriert Giancarlo Lepore die Gestalt auf sich, sie dringt an keiner Stelle in den Raum vor; er entwirft eher ein zeitgemäßes Ideal der Schönheit. Maß ist die Realität, die Leiblichkeit, die ihre sinnliche Präsenz durch die Konzentration erreicht. Fast ausgemergelt kommt der Leib daher, aber gerade in dieser Ernsthaftigkeit steht er für die geistige Befähigung des Menschen.

Die Sockelfrage seines „Kouros“ hat Giancarlo Lepore pragmatisch und lakonisch gelöst, er vermeidet alles Prätentiöse und Außerordentliche, indem er ein industrielles Fertigteil verwendet, welches zudem kaum breiter als der Torso ist und dessen Materialität besitzt. Die Berührung von Auflagefläche und anwachsender Gestalt bleibt übergangslos, ja die Gestalt scheint aus der Plinthe herauszuwachsen. Überhaupt hat Giancarlo Lepore – in bester bildhauerischer Schule – von Anfang an in seinem Werk die Aspekte des Sockelproblems (die Materialität, Höhe, Grundfläche, Form und das proportionale und formale Verhältnis) behandelt und ist zu sehr unterschiedlichen Lösungen gekommen, wechselnd auch mit dem Werkstoff und den Dimensionen. In der Regel sind seine Skulpturen allansichtig, auch wenn sie – qua Bestimmung – dezidiert eine Vorderseite tragen. Aber Lepore hat die Figuren ausformuliert, sie sollten jedenfalls mit Abstand von der Wand stehen.

Mitunter hat Lepore die Sockelung, wie gezeigt, vermieden, indem er die Figuren in einem linearen Gehäuse positioniert hat, sie auf einen Docht setzt (wie die neuen Glasskulpturen) oder sie an einen Draht hängt. Stets bleibt Lepore dabei an den Notwendigkeiten orientiert und entwickelt daraus eine Inhaltlichkeit.

Vor allem in den Skulpturen Mitte der neunziger Jahre geht Giancarlo Lepore der Frage nach, wie der anthropomorphe Körper mit der konventionellen, statisch kubischen Sockelformulierung in Einklang zu bringen sei. Bei „Aretusa“ ist der Doppel-T-Träger in die Breite gezogen; hierdurch wird im Gegensatz zum „Kouros“ die Horizontale betont – auch dies in Analogie zur formalen Erscheinung der Gestalt. „Die Tugendhafte“ erreicht nun Züge der naturalistischen Darstellung, die weiblichen Merkmale sind weiter ausformuliert oder als konturierende Zeichnung notiert. Mutig aber ist der Kopf über dem Mund, auf Höhe der Nase weg geschnitten. Auch hier liegt eine dezidierte Ausrichtung vor, mittels welcher der Figur weiter Leben eingehaucht ist. Sie hält sich an der Hüfte in prekärer Lage, wie eine Nixe sitzt sie auf einem Stein. Damit aber wird die Basis in die Arbeit, deren intentionales Handeln integriert; auch schließt sie auf einer (virtuellen) Vertikalen mit der Figur und trägt zur Balance bei.

Eine andere, noch explizitere Lösung der Sockelproblematik liefert „Daphne“, eine Arbeit, die ein Jahr zuvor, 1994, entstanden ist. Das Holz (als verhältnismäßig weicher Werkstoff) ist präzise und sorgsam durchgearbeitet ohne Mimesis anzustreben. Die Figur wird in der Drehung gegeben, so dass sich jeder Kontrapost erübrigt, zumal Lepore auch hier die Darstellung zum Torso verknappt. Andererseits: Erneut ist die Zeichnung des Gesichtes nuanciert, mithin ausdrucksstark (- und es scheint, als bändige Lepore sich selbst, indem er erneut durch das Haupt beim Gesicht schneidet), der Oberkörper wird vom Verlauf der Wirbelsäule und dem Spiel der Muskeln geprägt. Der Lokalton des Holzes steigert den Anklang an die menschliche Gestalt und trägt zur Lebendigkeit der Skulptur bei. Mehr aber als bei den oben geschilderten Arbeiten agiert Lepore mit der Proportion und der Ponderation der einzelnen Partien, mit der Organisation und einer ordnenden Zuständlichkeit im Körper. Die Figur wird begrenzt von zwei Holzklötzen, oben wie unten massige Kuben. Unten wächst die Figur aus dem kantigen Holz, oben verschmilzt sie mit diesem; in unserer Vorstellung drückt die lastende Form auf die Gestalt. Aber lediglich die Wendung im Körper könnte eine derartige Bedrängnis bezeichnen, selbst dies wird nicht weiter verstärkt. Primär haben wir es also mit einer formalen bildnerischen Lösung zu tun. Die Sockelpartien bestimmen den Block, aus dem die Figur genommen ist, in den sie aber ebenso eingebunden bleibt, dessen Dimensionen sie nicht überschreitet. Die beiden kreisrunden Löcher beziehen sich aufeinander und nehmen die Paarstruktur des Körpers, dessen Anordnung um eine Symmetrieachse auf. Lepores Skulptur veranschaulicht. Sie zeigt, wie viel skulpturale Gesetzmäßigkeit tatsächlich den menschlichen Körper konstituiert. Als Thema aber schwingt implizit die Beziehung des Menschen zur Natur mit. In der (hier handwerklich konstruierten) Ableitung aus dem Baum ist das eine Art Metamorphose. Erneut klingt die griechische Antike mit Ovid an, die bei den Lederskulpturen eine so große Rolle gespielt hat. Wachstum und das Eingebundensein in naturhafte Prozesse sind gleichermaßen – verhalten - vorgetragen.

Ein Anliegen, welches Lepore dabei zu beschäftigen scheint: Wie kann man eine antike – tradierte und damit bewährte, geradezu als Kodex gegebene – Form mitsamt ihrer Thematik in die Gegenwart übertragen, ohne gegen ihre „Gesetze“ zu verstoßen. Tatsächlich bricht Lepore nicht mit Konventionen, er geht vorsichtig mit ihnen um, nähert sich ihnen und erkundet, was uns Form und Inhalt berichten und wie sie uns noch etwas erzählen können.

Die neueren Skulpturen

Dies ist Lepore ohnehin von Anfang an klar. Er vernachlässigt die bewährten Grundlagen der Skulptur und deren Regeln, Anforderungen nicht; auch im fließenden Übergang seiner Werkgruppen vertraut er auf diese. Die Rede war von der heiklen Problematik des Sockels, dem entschiedenen Glauben an die menschliche Figur als „edelstem“ Motiv der Kunst, welches aber auch die Bedenken impliziert, wie man sich ein Bild vom Menschen machen kann, wie man ihm entsprechen und seine Befindlichkeit – immer wieder aufs neue - zum Ausdruck bringen könnte. Die Ponderation als Zueinander von Standbein und Spielbein taucht bei einigen von Lepores Figuren auf, bleibt insgesamt aber unterschwellig. Lepore bevorzugt die geschlossene gelängte Form. Das sind keine Schreitenden, die er darstellt. Vielmehr zeigt er subtil Torsion, subtil auch als Verfahren, eigenen Raum zu besitzen und die Umgebung zu definieren, damit die Allansichtigkeit der Figur zu thematisieren. Lepore bleibt dem klassischen Kanon absichtsvoll treu und strebt doch nach einer Gegenwartsbezogenheit seiner Arbeiten. Bemerkenswert ist auch das Insistieren auf der menschlichen Figur, von der von früh an die Werkphasen, materiellen Experimente und die Orientierungen der Schwerpunkte ausgehen. Wie berichtet, verschiebt sich Mitte der neunziger Jahre das Interesse hin zur formalen Beschränkung auf die Konstitution des Menschen, und es sind die oben genannten Arbeiten, die diese Überschneidung und den Wechsel zum Ausdruck bringen.

In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre tritt Terrakotta als wichtiger Werkstoff in den Vordergrund. Die Formung mit der Hand bleibt sichtlich ablesbar, erweist sich als gestaltendes Moment der Oberfläche und tritt in Analogie zu den Lederskulpturen und den zeitgleichen und späteren Arbeiten mit Eisenblechen. Körperlichkeit wird nun mehr als existenzbezogene Präsenz verstanden, die man kaum noch mimetisch zu unterstreichen braucht. Die Torsi verknappen weiter, doch besteht kein Zweifel, dass es sich hier um Figuren, gewissermaßen um Aktdarstellungen handelt.

Ein weiteres Mal gestaltet Lepore einen „Kouros“, mit einer „Kore“ bildet er eine Arbeit (2002). Zweiteiligkeit erweist sich als Paarbeziehung, männlich und weiblich – als Form, als Gehalt - werden mit knappen Mitteln bedeutet. Lepore arbeitet weniger mit Gegensetzungen als mit Parallelführungen. Es bleibt dabei, dass er auf eine Darstellung des Gesichtes verzichtet bzw. den Kopf vor Einsetzen der mimetischen Ausdrücklichkeit kappt. Millimeter um Millimeter sind Verjüngung und ausladende Partien entwickelt, die Figuren selbst messen knapp einen Meter und stehen auf einer Sockelfläche. Giancarlo Lepore hat sie von schräg unten fotografiert, so dass sie umgeben von Natur wie Idealbilder auftauchen. Sie scheinen aus Lehm geformt und lassen ebenso an Adam und Eva denken; ich finde, sie legen grundsätzliches Zeugnis vom Leben ab.

Noch mehrmals taucht das Motiv der Paarbeziehungen auf, einige Arbeiten konstituieren sich zudem aus drei Stelen. Mit derartigen Konstellationen hat Lepore seine Thematik weiter intensiviert und er hat die Ausdrucksform gefunden, die bis heute wesentlich für sein Schaffen ist. Selbst in den kleinen Plastiken aus durchsichtigem Glas deutet sich eine derartige Konstitution - gelängt und verknappt, partienweise differenziertere Ausformung - der Menschengestalt an, freilich besitzt dabei die Oberfläche eine Glätte, welche die Figur fast ätherisch werden lässt, mehr als erinnerte Figur denn als Gegenwärtigkeit zeigt. Dabei eignet diesen kleinen Arbeiten ein spielerischer Zug, etwas Beiläufiges.

Weiterhin sind in der letzten Zeit einige Holzskulpturen entstanden; auch sie handeln mit ihrer (nurmehr spröden, haptischen) Materialität, und sie bleiben nun dezidiert experimentell. Lepore schlägt jetzt nicht aus einem Stamm, sondern er baut additiv und schichtet Hölzer. Und er setzt nun auch partiell mit Farbe Strichfolgen, die formal und konstitutiv eingesetzt sind – er löst sich von der menschlichen Gestalt, die aber nach wie vor und bis zum heutigen Tag sein Motiv und Thema ist.

Die Holzschnitte

Die Paarigkeit als ein Aspekt der neueren Skulpturen findet ebenso in die Bilder Eingang. Dies belegen schon die Holzschnitte, die seit einigen Jahren – neben den Plastiken – einen Schwerpunkt in Lepores Arbeit bilden. Die Holzschnitte haben wesentliche, konstituierende Prinzipien und Problemstellungen gemeinsam. Sie verfügen über ein moderates, aber nicht kleines Format und sie sind in einer geringen Auflage gedruckt. Und sie rekurrieren auf eine Dualität, die zwischen der Darstellung und ihrem Umraum trennt und eine Zweifarbigkeit präferiert. Verstärkt wird dies noch durch die breite, dicht schwarze Kontur. Die Blätter lassen die Holzstruktur zu und zeigen vermittels von Schraffuren und Wischungen einen tieferen Grund, welcher Materialität und Körperlichkeit weiter betont. Der Abstraktionsgrad aber wird über die Reduktion auf das Flächige hinaus verstärkt; Lepore zeigt amorphe Partien. Mit dem farblichen Kontrast, dem tonig verhaltenen Grundton und dem Gestalthaften erreicht Lepore indes wieder die Räumlichkeit, die für seine Arbeit überhaupt konstituierend ist: das indirekte Umkreisen von allen Seiten.

Die Holzschnitte abstrahieren, aber sie gehen nach wie vor vom menschlichen Torso aus, im Grunde setzt sich hier die Auseinandersetzung mit Plastizität und Umraum fort, dies berührt bei dem flächigen Bildträger die „klassische“ Figur-Grund-Thematik. In seinen Holzschnitten, die sich genuin von den Zeichnungen unterscheiden, schafft Lepore einen neutralen Farbraum, der gerade jede Analogie zu naturhaften Prozessen negiert, vielmehr eine gewisse Künstlichkeit bewahrt. Zugleich wird die Darstellung selbst fokussiert, mithin ist sie an den vorderen Rand gerückt. Fast eins zu eins nimmt Lepore die plastisch skulpturalen Formfindungen wieder auf, wobei der Holzschnitt überhaupt geeignetes Medium ist, die Stofflichkeit und den plastischen Werkprozess zum Ausdruck zu bringen: Auch in seinen flächigen Arbeiten bleibt Giancarlo Lepore der Bildhauer, den unsere Delegation mit Landrat Dr. Hudelmaier, Dipl-Ing. Weisenburger und dem Dezernenten Haberecht, kommend von Pesaro, bei Borgo Pace kennen lernte: umgeben von Skulpturen und in konzentrierter Ruhe mitten in seinem Metier.

Thomas Hirsch